Die Sehnsucht nach Anderen

Ich fühle mich einsam. Es hat lange gedauert, diese Worte das erste Mal auszusprechen. Innerlich fühlte ich eine Blockade mir dieses Gefühl einzugestehen – ich hatte eine große mich liebende Familie und Hunderte Nachrichten, die zu beantworten waren und trotzdem war da dieses lähmende Gefühl, dass etwas fehlt. Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit konnte ich erst besser begreifen, als ich mich mit Einsamkeit beschäftigt habe. Wie konnte ich einsam sein, wenn ich doch gar nicht viel allein war?

Die unsichtbare Last

Einsamkeit wurde bereits vor der Pandemie als eine der größten Zivilisationskrankheiten beschrieben. Die Ernsthaftigkeit erkennt man auch daran, dass es in Großbritannien einen eigenen Minister of Loneliness gibt und der US Surgeon General Vivek Murthy Einsamkeit als sein Hauptthema für seinen diesjährigen Report gewählt hat (und schon seit Jahren davor warnt). Berühmt geworden ist der Vergleich, dass chronische Einsamkeit so schädlich wie 15 Zigaretten am Tag sei. Die gesundheitlichen Auswirkungen ließen sich in einen eigenen Blogartikel packen, es sei hier nur so viel gesagt: Höchstwahrscheinlich unterschätzt ihr die Schädlichkeit gewaltig. Wir sind soziale Wesen. In unseren menschlichen Anfängen hätte ein Ausschluss aus der sozialen Gruppe den Tod bedeutet. Allein waren wir nicht überlebensfähig. Daher war „sich einsam zu fühlen“ ein Frühwarnsystem wie hungrig oder durstig zu sein. Wenn wir einsam sind, fühlen wir uns unausgefüllt. Wir bekommen nicht das, was wir in unseren Beziehungen oder in unserem Leben brauchen. Wir fühlen uns vielleicht abgekoppelt, isoliert und missverstanden.

Die Formen der Einsamkeit

Aber zurück zu einem meiner persönlichen Schlüsselmomente. Um etwas besser zu begreifen, können manchmal Kategorien helfen. Einsamkeit kann aufgesplittet werden in intime Einsamkeit, soziale Einsamkeit und kollektive Einsamkeit. Intime oder emotionale Einsamkeit ist die Sehnsucht nach einem/einer engen Vertrauten. Soziale Einsamkeit ist das Fehlen von guten Freundschaften. Kollektive Einsamkeit ist das Bedürfnis nach einem Netzwerk oder einer Gemeinschaft von Menschen, die Werte und Interessen teilen. Die eigenen Bedürfnisse können in einer Kategorie erfüllt sein und in einer anderen nicht. So können wir in einem Verein sein (kollektive Einsamkeit) und einen großen Freundeskreis haben (soziale Einsamkeit), aber an einem schlechten Tag haben wir niemanden zum Reden (intime Einsamkeit).

Ohne Scham

Daher lohnt es sich in einem ersten Schritt, in sich hineinzuschauen, welche Bedürfnisse nicht erfüllt sind, von welchen Formen der Einsamkeit man sich betroffen fühlt. Einsamkeit kann man zwar nicht allein bekämpfen, aber es startet bei einem selbst. Der zweite Schritt ist, über seine Gefühle zu reden. In unserer Gesellschaft ist es so ein Tabu, zu sagen, dass man einsam ist oder auch manche seiner Gefühle auszudrücken. Dabei ist es ein ganz normaler Teil des menschlichen Erlebens. Jeder kann sich von Zeit zu Zeit einsam fühlen - das ist ganz normal. Doch wenn das Gefühl der Einsamkeit über einen längeren Zeitraum andauert und uns stark beeinträchtigt, kann es hilfreich sein, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Ihr seid nicht allein mit euren Gefühlen. Auch Menschen, von denen ihr es gar nicht erwartet hättet, werden manchmal eine Form der Einsamkeit empfinden. Daher ist es so wichtig, dass wir darüber reden. Und uns dadurch verbunden fühlen.

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